Das Westpfälzer Musikantenland

Das Wandermusikantentum ist ein Phänomen, das seinen Ursprung etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts nahm. Nach positiven Erfahrungen einiger Musiker, die durch Engagements im Ausland oder bei Zirkusbetrieben erheblich zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation beitragen konnten, entwickelte sich ein eigener Berufsstand. Damit hofften sie durch zirkuläre Wirtschaftsmigration den prekären Bedingungen in der Westpfalz zu entgehen. Hierbei dürfen die Kapellen, die meist von einem erfahrenen Kapellmeister angeleitet und straff organisiert wurden, nicht mit Bettelmusikanten verwechselt werden, die quasi ziellos durch die Lande vagabundierten. Meist wurden durch die „Pfälzer Partie“ feste, oft im Vorfeld arrangierte Engagements bedient, als Kurkapelle in englischen Seebädern, Zirkusorchester für eine gesamte Tournee usw.. Gleichzeitig wurden alle Gelegenheiten während der Reise genutzt, zusätzlich Einnahmen zu generieren oder Kosten zu minimieren. So wurde manche Überfahrt über das Engagement als Schiffskapelle (mit-)finanziert.

Eine der ersten Zirkuskapellen bei Zirkus Krone um 1870
Zirkusorchester aus frühen Zeiten
Mackenbacher Zirkusorchester unter der Leitung von Jean Eckhardt
Zirkusorchester Jean Eckhardt in Schweden

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Durch zunehmende Professionalisierung und deutliche quantitative Zunahme der Wandermusikanten (2500-3000 pro Jahr zur Blütezeit um 1880) wurden diese selbstbewussten Kapellen, die meist in Uniform auftraten, zu einem Wirtschaftsfaktor von enormer Bedeutung für die Region. Die im Ausland generierten Gewinne und der daraus resultierende Wohlstand beförderten bei der Rückkehr in die Heimat zum jeweiligen Saisonende bzw. teilweise nach jahrelanger Abwesenheit dann Baugewerbe (Musikantenhaus-Architektur), Tuchmacher (Uniformen der Kapellen), Instrumentenbau und viele andere Wirtschaftszweige. Nach dem ersten Weltkrieg erfolgte ein deutlicher Einbruch des Wandermusikantengewerbes, da Auslandstätigkeiten beinahe nur noch in den Niederlanden möglich waren. Die Gleichschaltung der Kultur im Deutschen Reich und die nach dem Ende des Nationalsozialismus verstärkt aufkommenden Wiedergabemedien für Musik besiegelten den Untergang des historisch gewachsenen Wandermusikantentums in erwerbsmäßigem Sinne. Dennoch wirkt die Musikantentradition in der Gegenwart in Form einer vielfältigen kulturellen Praxis fort. Zwei Museen setzen sich mit der Geschichte der Wandermusikanten auseinander und fungieren als Wissensspeicher und Archive für Notenmaterial oder biographische Informationen zu einzelnen Musikern. Gleichzeitig vermitteln sie neben den historischen Fakten auch bestimmte Werte, die die Wandermusikantenkultur prägen, an die BesucherInnen.

Zu diesen Werten gehören Weltoffenheit und Toleranz, Wertschätzung von Kreativität, eine Haltung, die in der Formel „Never give up“ kondensiert werden könnte, und viele mehr. Denn ohne die Integration fremder Melodien in das Repertoire oder die Anpassungsfähigkeit an lokale Bedingungen wären die Musiker der Vergangenheit nicht erfolgreich gewesen. Nur fremdsprachenkundige Kapellmeister konnten verschiedene Destinationen bereisen und vor Ort Verhandlungen zum gewünschten Ergebnis führen. Die Musiker beherrschten meist sowohl ein Blas- als auch ein Streichinstrument. Eine überdurchschnittliche Dichte von Musikvereinen, Musikschulen, Bands, Chören u.a. musikkorrelierten Formationen sorgen heute für eine aktive, facettenreiche Musiklandschaft.

Dass das historische Erbe eine wichtige identitätsstiftende Funktion erfüllt wird an der Namensgebung „Pfälzer Bergland – Kuseler Musikantenland“ ebenso deutlich, wie an der selbstgewählten Bezeichnung Musikantendorf vieler Ortsgemeinden in der Region der Westpfalz. In etlichen Ortsgemeinden finden sich skulpturale oder bauliche Manifestationen der musikgeprägten Vergangenheit in Form von Figurengruppen oder ausgewiesenen Musikantenhäusern, mit dem ihnen eigenen Stil, und thematisieren diese in der Jetztzeit.

Typisches Musikantenhaus in Jettenbach
Wandermusikanten Karl Hauber und „Ottopatt“ Otto Rheinheimer als Statuen in Jettenbach

 

Durch das oft ehrenamtliche Engagement eines großen Personenkreises werden immer wieder niederschwellige Formate geschaffen, die allen Bevölkerungsgruppen einen Zugang zur Musik eröffnen sollen. Einige Musiker empfinden sich als die Nachfolger der Wandermusikanten und benennen sich auch heute noch als solche. Um dem historischen Erbe gerecht zu werden und die Tradition in der Gegenwart weiter urbar zu machen, fördert TRAFO eine Initiative in der Kulturstiftung des Bundes das Modellprojekt „Westpfälzer Musikantenland“. Im Zuge dieser Förderung sollen zusätzliche nachhaltige Strukturen etabliert werden, die ausgehend vom einzigartigen Erbe der Region die (Musik-)Kulturlandschaft weiter stärken.

 

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